Von einem kulturellen Neuanfang war viel die Rede. Heraus kam ein symbolischer Akt mit schlechtem Wetter, nur zur Hälfte genutztem Saal und vielen offenen Fragen.

Hahnenklee. Am 1. November 2025 verlieh die Stadt Goslar zum ersten Mal den neuen Musikpreis Der Goldene Ton – an Sven Regener. Der Musiker und Schriftsteller hatte ein Jahr zuvor nach erster Zusage den traditionsreichen Paul-Lincke-Ring abgelehnt, weil der Berliner Komponist Paul Lincke wegen seiner Nähe zum Nationalsozialismus umstritten ist. Was als moralische Haltung begann, endete nun in einer kulturpolitischen Kapitulation: Der alte Preis wurde abgeschafft, der neue erfunden – die Hahnenkleer, verunsichert und gespalten.

Mehr Absicherung als Begeisterung
Schon der Rahmen sprach Bände. Eine Pressekonferenz ohne die großen Fernsehsender, ein aufwendig gesichertes Kurhaus, Polizeifahrzeuge am Ortseingang, Sicherheitskräfte im Saal. Bereits im Vorfeld hatten der Ortsbürgermeister und ein Medienvertreter bei potenziellen Störern angerufen, um zu erfragen, ob und was geplant sei.
Dennoch sprach das hohe Sicherheitsaufgebot für die Nervosität der Veranstalter: Angst vor Störungen war spürbar, die Feier wirkte von Anfang an defensiv inszeniert.
Der „ausverkaufte Kursaal“, den man im Vorfeld verkündet hatte, entpuppte sich als halbleeres Versprechen: Rund 250 Gäste, einige freie Reihen, die zweite Saalhälfte geschlossen. Vom Glanz vergangener Lincke-Feiern war wenig geblieben.
Technik von gestern für einen Preis von heute
Aufwendiges Ton-Equipment musste eigens aus Goslar herangeschafft werden, um die Veranstaltung überhaupt auf ein professionelles Niveau zu bringen. Die fest installierte Lautsprecheranlage im Kursaal scheint seit rund 40 Jahren treu, aber unmodern ihren Dienst zu tun – hat ihn vielleicht auch schon komplett quittiert. Es war ein Nachmittag der Symbolik – auch ungewollt.
Ein Saal ohne Vergangenheit
Bis vor wenigen Tagen trug der Kursaal noch den Namen „Paul-Lincke-Saal“. Um den Preisträger nicht mit Lincke zu konfrontieren, wurde das Schild kurzerhand entfernt, wurde eingelagert, soll aber wahrscheinlich nicht wieder aufgehängt werden. Ein symbolischer Akt, der zeigt, wie weit man bereit ist, Tradition und Erinnerung zugunsten politischer Korrektheit zu tilgen.
Juristische Winkelzüge
Der eigentliche Traditionsverein, Freundeskreis Paul-Lincke-Ring e.V., reagierte auf die Umbenennung pragmatisch: Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung im Oktober sicherte man sich ein Mitgliedervotum, um sich umbenennen zu können. So soll der Verein weiterhin ein Jurymitglied beim „Goldenen Ton“ stellen und womöglich die Finanzierung des ursprünglichen Rings tragen dürfen. Ein bemerkenswerter Schritt, der die Veranstaltung zusätzlich wie ein bürokratisches Schachspiel wirken lässt.

Der Preisträger bringt sich selbst mit
Sven Regener brachte seinen eigenen Laudator mit, was als künstlerische Eigenwilligkeit gelten mag – aber auch als Misstrauen gegenüber dem Veranstalter gewertet werden könnte. Im Publikum saßen auffällig viele Fans seiner Person, bzw. seiner Band Element of Crime, die an den passenden Stellen für verlässlichen Applaus sorgten. Das Ganze wirkte weniger wie eine städtische Auszeichnung als wie ein Regener-Nachmittag mit Verwaltungshintergrund.

Vom Ring zum Regen
Nach der Preisverleihung zog die Gesellschaft in den Regen: zum neu errichteten „Klangspiel“ im Kurpark, wo sich künftig alle Preisträger des „Goldenen Tons“ verewigen sollen. Eine nette Idee – doch das feuchte Wetter passte zur Stimmung. Statt Aufbruch lag Melancholie in der Luft, denn viele Hahnenkleer empfinden die Umbenennung weiterhin als Verlust. Der Paul-Lincke-Ring war ein Stück Geschichte, ein Stück Identität. Ihn einfach durch ein neues Symbol zu ersetzen ist ein Bruch, der bleibt.

Ein Preis ohne Fundament
Der „Goldene Ton“ will modern sein – aber ihm fehlt das Fundament, das den alten Ring trug: Tradition, Bedeutung, Kontinuität. Die Stadt wollte Haltung zeigen, doch was herauskam, war Symbolpolitik. Man hat sich der Vergangenheit entledigt.
Das Ergebnis: Wenn der Ton „golden“ ist, kann er zwar oberflächlich glänzen, aber leer klingen – wie eine schöne Fassade ohne Substanz. Es scheint, als habe der Preis seinen guten Ton bereits verloren.
Man darf gespannt sein, wie viele Jahre dieser Preis weiter in Hahnenklee verliehen wird.




